Was kostet eine Gärtnerei?
Ende Dezember, und die Tage werden schon wieder länger. Göttin sein Dank, denn auch dieser Winter scheint nass, trübe und windig zu bleiben. Und zu warm – wie all die letzten Dezembermonate auch schon. In den Beeten der Wildblümerey wuchern fröhlich Gras und Weidenröschen, die Winterarbeiten müssen ständig unterbrochen werden, weil der Boden zu nass ist.
Wildblümerey zu teuer?
Zeit für ein ganz anderes Thema: Im Verlauf des Jahres hatte eine Kundin angemerkt, dass sie meine Preise zu hoch findet. Ich war so perplex, dass ich nicht angemessen reagieren konnte. Seitdem lässt mich der Gedanke nicht los, dass einige Menschen offenbar nicht wissen, was eine (Solo-)Selbständigkeit bedeutet. Im Folgenden deshalb ein paar Einblicke, die vielleicht auch für Gründer*innen hilfreich sind.
In einer freiberuflichen Tätigkeit berechnet man üblicherweise ein stundenbasiertes Honorar, das alle Kosten abdecken soll, von Büromaterial und -Miete über Fahrtkosten und Weiterbildung bis zu Krankenkasse (doppelter Beitrag), freien Tagen oder Arbeitszeit selbst. In der Gärtnerei, einer gewerblichen Tätigkeit, ist dies nicht möglich, denn dort verkaufe ich ein Produkt, keine Leistung. Dieses Produkt ist im Vergleich so geringpreisig, dass ich es hundert- bis tausendfach verkaufen muss, um am Monatsende auf denselben Ertrag zu kommen.
Unterschätzt: Beratungsleistung
Die Crux an der Geschichte ist nun, dass dieses tausendfache Verkaufen wiederum soviel Arbeitszeit bindet, dass sich die Arbeitszeit, die ich zur Fertigung des Produktes aufgewendet habe, noch einmal vervielfacht. Am Beispiel eines kleinen Wildstauden-Topfes für 3,50 Euro: Nach der Aussaat im Januar/März (Kühlkeimer/Warmkeimer) in Topfplatten folgt etwa im April/Mai das Umtopfen in einen größeren Behälter. Bis zum Verkauf wird das Pflänzchen fortlaufend gepflegt: Gegossen, gedüngt, geputzt (von Beikräutern befreit), vor Schädlingen und Sonne geschützt.
Wird die Pflanze im Sommer nicht verkauft, topfe ich noch einmal um. Wird sie auch im Herbst nicht verkauft, topfe ich im darauffolgenden Frühjahr erneut. Mittlerweile kostet sie 4,50 Euro, monatelange Pflege und Verluste im Winter miteingerechnet. Doch egal, wann ich sie verkaufe, im Juni oder zehn Monate später: Es wird noch Beratungszeit anfallen, und die ist die große Unbekannte.
Es gibt Kund*innen, die bleiben bis zu 45 Minuten und haben viele Fragen, kaufen dann aber nur drei Pflanzen (was in Ordnung ist!). Andere sind selbst Naturgärtner*innen und wissen genau, was sie wollen. Sie jagen in fünf Minuten durch die Beete und schnell wieder nach Hause, um die neuen Schätzchen in den eigenen Garten zu setzen. Anders als beim Stundenhonorar kann ich die Produktpreise aber nicht auf die Kundenkommunikation anpassen. Oder sagen wir mal: Es ist nicht üblich.
Von erfahrenen Kolleg*innen weiß ich, dass sie deshalb die Beratung auf 15 Minuten begrenzen. Wenn die Gärtnerei voll ist, ist das für Kund*innen sicher nachvollziehbar. Sind keine weiteren Gäste da, kann sie das aber auch vor den Kopf stoßen. Mein Anliegen ist ja außerdem, den Kund*innen die Naturgarten-Idee nahezubringen, und das ist einfach sehr beratungsintensiv. Viele sind aber auch einfach begeistert von den ersten Erfolgen und teilen freudig ihre Beobachtungen von steigender Artenvielfalt im Garten. Das ist gleichzeitig eine wichtige Rückmeldung für mich, denn nun werden diese Menschen zu Multiplikator*innen.
Handel vs. Eigenproduktion
Insgesamt unterscheiden sich die Abläufe in einer Wildstauden-Gärtnerei grundlegend von denen im Gartencenter: Dort gibt es nicht immer fachkundige Beratung, vor allem aber wird nicht selbst produziert. Die Pflanzen werden oft günstig aus industrieller Fertigung gekauft und können dann zu einem immer noch günstigen Preis weiterverkauft werden. Dieser Einkauf im großen Stil macht auch Rabatte möglich, da beim Händler trotzdem Gewinn hängenbleibt.
Mit dieser Art des Wirtschaftens kann und will ich nicht konkurrieren. Sie ist darauf ausgerichtet, alles immer noch billiger zu machen, um mit der Konkurrenz Schritt zu halten. Die Waren und die Arbeit der Beteiligten verlieren darüber nach und nach ihren eigentlichen Wert. »Der Kunde will das so«, habe ich dazu schon gehört, und möchte darauf antworten: »Nein, Ihr habt den Kunden dahin erzogen.«
Zu diesem System gehört unter anderem, dass Torferde immer noch günstiger verkauft wird als torffreie Erde – weil der Schaden durch den Abbau der Moore einfach nicht eingepreist wird. Dadurch kann eine einzelne Staude billiger produziert werden, und im Ergebnis hat man als Kund*in natürlich mehr Pflanzen ergattert. Gleichzeitig hat man sich aber das kaputte Moor aus Niedersachen direkt nach Hause vor die Terrasse geholt. Anderswo wird also ein natürlicher Lebensraum zerstört, um im eigenen Garten einen künstlichen zu schaffen. Das ist auf keinen Fall das Ziel der Naturgarten-Gemeinde.
Das gilt meiner Ansicht nach ebenso für den Abmagerungs-Hype, für den große Mengen an Sand, Kies und Schotter herangeschleppt werden, um »Insekten-Hotspots« oder »Sandarien« zu schaffen. Mitunter hängen auch Naturfreund*innen diesem Hype an, was schade ist, denn auch dieses Material muss ja irgendwo im großen Stil abgebaut werden und fehlt dann dort. Ein Mangel an Nährstoffen fördert bekanntlich eine artenreiche Pflanzenwelt, so wächst etwa der typische Regenwald auf verwitterten, ausgewaschenen Böden, und in Deutschland sind die immer seltener werdenden Magerwiesen die artenreichsten.
Preisgestaltung
Wie kommt man überhaupt auf 3,50 Euro für eine Wildstaude im sogenannten 9er-Topf? – Da gibt es tatsächlich mehrere Wege. Ob sie kostendeckend sind, ist eine andere Frage. Ich habe mich z. B. zuallererst an den Mitbewerber*innen orientiert, auch an den Online-Shops. Das mag nicht ganz korrekt sein, da diese keine persönliche Beratung anbieten, aber ich weiß, dass sie durchaus Anrufe und Mails bekommen, und die Pflanzen müssen ja auch verpackt werden, was ebenfalls Zeit kostet.
Grund für meine Entscheidung war, dass ich die Bielefelder*innen eher als Sparfüchse eingeschätzt habe, denen das Thema Wildstauden noch nicht so vertraut ist. Aber natürlich ist die klassische Preiskalkulation genauso wichtig wie in der Freiberuflichkeit: Mit jedem Staudentopf müssen anteilig die Kosten abgedeckt sein für z. B. Pacht, Wasser, Versicherung, Büro, aber ebenso Erde, Dünger, Pflanzenschilder oder Saatgut. Eine große Ersparnis habe ich durch die Nutzung gebrauchter Töpfe, aber die Verpackungslizenz für das Plastik muss ich trotzdem bezahlen – und natürlich Zeit zum Sammeln investieren.
Ganz abgesehen davon gehen 23 Cent von jedem verkauften Topf direkt ans Finanzamt, nämlich als Umsatzsteuer. Weil ich mit meiner Arbeit (angeblich) einen Mehrwert erziele, heißt das für die Kund*innen Mehrwertsteuer. Ich hoffe jedenfalls, dass die Umwelt einen Mehrwert aus der Wildblümerey zieht ;-).
Der wirkliche Preis
Es gab dieses Jahr übrigens eine weitere Kundin, die mich auf meine Preise ansprach. Sie meinte, ich sei viel zu günstig, und in Süddeutschland würde man für Pflanzen weitaus mehr bezahlen. Das hat mich beruhigt und in der Einschätzung meiner Arbeit zum Erhalt der Artenvielfalt bestätigt. Könnte ich unabhängig vom Markt – und in einer besseren Welt – agieren, würde ich meine Preise deutlich anheben, da ich selbst nur zu gut weiß, wieviel Schweiß in diese kleine Gärtnerei fließt. Letztlich ist der Teil an Arbeit, den Kund*innen während der Öffnungszeiten sehen, nur ein kleiner Mosaikstein.
Und das vor allem, weil die Wildblümerey anbietet, was im Umkreis sonst kaum zu finden ist: Schaubeete. Es sind zwar keine klassischen Arrangements, aber sie ermöglichen den Kund*innen, die Pflanzen im ausgewachsenen Zustand kennenzulernen und ein Gefühl für Wildstauden zu bekommen. Rund 70 Prozent der Arbeit im Winter-Halbjahr gelten diesen Beeten, vor allem dem Jäten und Auslichten, im Sommer sind es etwa 40 Prozent.
Trotz der Mühsal möchte ich die Beete nicht missen, ich finde sie essentiell für die Idee dieser Gärtnerei. Zwischen Mais- und Weizenfeldern gelegen, ist sie auch für Insekten zum Mini-Hotspot geworden. Vielleicht sollte ich sie doch irgendwann in die Kalkulation einbeziehen...
Wenn in der Wildblümerey einmal die Preise steigen sollten, wissen Sie nun jedenfalls etwas mehr zu den Hintergründen.